„Aus volksfeindlichen Vermögen“ steht auf einer der Seiten. Die Listen haben es in sich.
Zeitsprünge Heilbronn fand im Staatsarchiv Stuttgart hunderte Seiten mit Listen von Raubkunst, die bis 1945 im Salzbergwerk Heilbronn und einigen anderen Orten lagerte. „Confiscated“ – beschlagnahmt, schrieben die Amerikaner auf einer der Listen, „mostly from jewish collections“. Die Werke wurden vor 1945 von der Kunsthalle Karlsruhe eingelagert. Weitere umfangreiche Bestände von Raubkunst im Salzbergwerk stammten aus Kölner und Krefelder Beständen.
Hauptstaatsarchiv Stuttgart
Jetzt gab das Hauptstaatsarchiv Stuttgart ‚Zeitsprünge‘ grünes Licht, die Karlsruher Listen zu veröffentlichen. Die Listen erzählen Geschichte, sind wichtige Dokumente der Zeitgeschichte.
Hauptstaatsarchiv Stuttgart
Schon die ersten 20 Seiten nennen bekannte Künstlernamen wie Lovis Corinth und Adolf Menzel unter der Raubkunst im Salzbergwerk. Die Listen lassen teils auf das Beuteschema von Kurt Martin schließen, Leiter der Kunsthalle Karlsruhe und Chef aller Museen in Baden und dem besetzten Elsass: ein großer Ausstellungsschwerpunkt des Museumsleiters im III. Reich war der Künstler Hans Thoma, der häufig in den Listen erscheint.
Die Aufstellungen deuten Beschlagnahmungen der Polizei bei jüdischen Verfolgten an, Raubkunst aus dem Elsass und Devisenbeschlagnahmungen Geflüchteter, Notversteigerungen und fragwürdige Ankäufe.
Hauptstaatsarchiv Stuttgart
Harry Ettlinger von den Monuments Men ging ab September 1945 täglich in das Bergwerk, um monatelang die Raubkunst unter dem Lagergut aufzuspüren. Einem Interview zufolge nutzte er auch die Dokumentationen des ERR, des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg. Demnach wäre er nicht nur auf die Listen von Kurt Martin angewiesen gewesen.
Das Lager war riesig, 125000 Quadratmeter, 40000 Kisten. Die Raubkunst hier ausfindig zu machen, dauerte 10 Monate, das meiste war legales Lagergut (> 90 %) aus unzähligen deutschen Museen, Kirchen und Kultureinrichtungen.
Eines der wichtigsten Funde waren die mittelalterlichen Glasfenster des Straßburger Münsters, die aus einem Lager in Südfrankreich nach Heilbronn verschleppt wurden. Insgesamt 900 Werke stuften die Monuments Men bei der Durchsuchung des Lagers als illegal ein, eine weitere Dunkelziffer bleibt offen.
Jewish Historical Society
Die letzten Transporte mit Rückgaben, die Harry Ettlinger im Interview erwähnt600, gingen an den Louvre in Paris und nach Florenz, Italien. Allein 700 Kisten gingen zurück nach Florenz.
Das Material kam einst mit einem Sonderzug aus Italien. Die Politik zwischen Zerstörung und Sicherungswahn ist bis heute bizarr. Unten im Foto deutsche Soldaten, die ’sichergestellte‘ Kunst aus Neapel in Rom präsentieren.
Bundesarchiv
Unter dem legalen Lagergut im Salzbergwerk Heilbronn befanden sich Werke wie der Altar der Kilianskirche. Auch das berühmte Rembrandt-Selbstbildnis im Bild unten, das die Monuments Men hier im Heilbronner Salzbergwerk präsentieren, zählt dazu. Für Harry Ettlinger hatte es eine besondere Bedeutung. Er war selbst bei Karlsruhe aufgewachsen, als Kind wollte er das Gemälde in der Kunsthalle sehen, durfte jedoch als Jude kein Museum betreten. Seine Familie emigrierte in die USA und er kam mit den Monuments Men wieder zurück – um Kunst wieder für alle zugänglich zu machen.
Harry Ettlinger (rechts) entdeckt das Rembrandtbild im Bergwerk gemeinfrei
Von Rembrandt bis Corinth
In den ersten hundert Seiten der Raubkunstlisten findet sich von Rembrandt bis Corinth viele Namen. Waren von Rembrandt zufolge bestenfalls Radierungen illegaler Herkunft nach diesem Zwischenstand enthalten, findet sich von Corinth ein Gemälde der Flora, das eine interessante Geschichte vermuten lässt. Das Motiv der Flora hatte Corinth über die Jahrzehnte mehrmals gemalt.
Die Schauspielerin Tilla Durieux stand Corinth gelegentlich Modell, sie war gut mit ihm befreundet – stand sie in diesem Fall Modell?
Tilla Durieux
Tilla Durieux musste selbst ins Exil gehen, schloss dort Freundschaft mit Victoria Wolff aus Heilbronn (siehe Kapitel Victoria Wolff ). Welche Flora von Corinth in Heilbronn gelagert war, lässt sich anhand der Listen bisher nicht genau bestimmen.
Ein Netzwerk an Lagern
Es gab neben dem Salzbergwerk mehrere Lager im Südwesten, so auch in Baden-Baden und in Pfullendorf nahe Sigmaringen. Doch die wichtigsten Werke sollen im Heilbronner Salzbergwerk eingelagert worden sein, wie ein Protokoll in den Listen festhält:
Kunsthallen-Assistentin Gerda Kircher gab dies im September 1945 zu Protokoll.
Doch lagerten auch viele bedeutende Werke an anderen Orten, wie dieser Goya aus den besetzten Gebieten, der ebenfalls von Gerda Kircher in den Listen erwähnt wird und der Forschung zufolge nach Straßburg gebracht wurde.
Gerda Kircher verdanken wir eines der interessantesten Dokumente in den Raubkunstlisten, es enthält eine Übersicht der wichtigsten und wertvollsten „Erwerbungen“ der Kunsthalle Karlsruhe in der Kriegszeit, häufig aus den besetzten Gebieten und mit fragwürdigen Umständen verbunden.
Aus dieser Übersicht (siehe Anhang) wird nochmals deutlich, wie Kurt Martin zu Beginn als relativ unbedeutender Provinzmuseumsleiter in Karlsruhe kaum Budget für Ankäufe hatte und erst mit dem Krieg mächtig wurde, im Dienste des Regimes nach dem Überfall auf Frankreich steile Karriere machte, als Chef aller Museen im Elsass und in Baden aus dem Vollen schöpfen konnte, in den besetzten Ländern Zugriff auf große Werke fand.
Der neue Sitz der „oberrheinischen Museen“ war in Straßburg, Zentrum im neuen Reichsgau Elsaß-Baden, daher kam vieles dort an, wenn Kurt Martin für die Kunsthalle Karlsruhe in den besetzten Gebieten Kunstwerke an Land zog. So wurde 1942 das Goya-Bild aus Paris ins ‚Deutsche Reich‘ nach Straßburg gebracht, während die Straßburger Münsterfenster später nach Heilbronn kamen, als man bereits auf dem Rückzug war.
Die Monuments Men taten ihr Bestes, die Werke im Salzbergwerk Heilbronn wieder an ihre ursprünglichen Besitzer zurückzugeben, doch 1946 war für Harry Ettlinger bereits Dienstschluß. Das seine Mission nicht zu Ende war, wusste er. Sein eindringlicher Appell dazu ist ans Ende des Kapitels gestellt.
Die Raubkunst in Deutschland wurde nach 1945 von den Alliierten in „Collection Points“ gesammelt. In Wiesbaden wurde in erster Linie deutsche Museumskunst abgeliefert, in München Raubkunst.620 Was dann bis 1949 nicht zurück gegeben werden konnte, wurde den deutschen Behörden und Museen zur weiteren Nachforschung und Rückgabe überlassen. Doch die Begeisterung der deutschen Museen, die Rückgabe weiter zu verfolgen, hielt sich sehr in Grenzen – was dann geschah ist, ist in vielen Fällen bis heute ein Skandal. Das Kapitel „Spur der Rubensbilder“ konnte jetzt dazu mit den Recherchen der Süddeutschen Zeitung deutlich erweitert werden.
Heilbronn ist hier dennoch zu einem Teil auch eine Erfolgsgeschichte: die Monuments Men konnten gute Arbeit leisten, viele illegale Werke vom legalen Bestand trennen, das Salzbergwerk leistete für legales Lagergut auch gute Dienste.
Gleichzeitig bleiben viele Fragen zum illegalen Lagergut offen.
In den Raubkunstlisten wird häufig nur „aus jüdischem Besitz“ genannt, die Verfolgten dabei nicht namentlich zu ermitteln. Wenige sind namentlich genannt:
Dr. Benno Weil, Mannheim (1939 Genf)
Siegfried Reiss, Mannheim
E. Reiss, Heidelberg
Homburger, Haydnplatz, Karlsruhe
Frau Klara Goldschmidt, Maxaustr. 38
Salomon, Karlsruhe
E. Gallinek, Baden, Baden (Nachlaß)
Mr. Arthur Nahm (Mannheim) Riverside 845 Drive, New York 32
Richard Lenel, Charlottenstraße 17, Mannheim
Robert Israel Mayer, Heidelberg
Dr. A. Lewis, Jahnstraße 20, Karlsruhe
Frau V. von Waldberg, Moltkestr. 13, Heidelberg
Die handschriftlichen Notizen der Amerikaner auf den Listen zeigen, wie früh bereits der Kunsthalle Karlsruhe, die jahrelang die Raubkunst sammelte, unter dem selben alten Chef aus dem III. Reich wieder Werke der Verfolgten anvertraut wurden, offiziell zur weiteren Rückgabe („to be turned over by Kunsthalle directly“). Was ist damit geschehen?
Konnte bei den vielen namenlosen Werken die früheren Besitzer überhaupt noch ermittelt werden? Die Süddeutsche Zeitung berichtet von Tausenden ungeklärten Fällen in den Museen, die bald wieder dieses Erbe in ihre Sammlungen nahmen. Nach Abzug der Amerikaner 1949 war die weitere Rückgabe nicht gesichert.
Fazit
Nachdem das Staatsarchiv Stuttgart alle 360 Seiten dieser Dokumentensammlung übermittelt hatte, wurde deutlich, dass diese Listen der Kunst aus früherem jüdischen Besitz im Salzbergwerk Heilbronn, so umfangreich sie sind, nur ein Fragment aus einem größeren Kontext sind.
Die Suche geht weiter. Erweiterte Listen liegen wohl im Generallandesarchiv Karlsruhe, wie einem Aufsatz von Tessa Rosebrock zur Geschichte der Kunsthalle im Nationalsozialismus zu entnehmen ist. 621 Dort sind auch Aufzeichnungen zu Werken aus Frankreich und den Niederlanden enthalten. Rosebrock erwähnt auch, das viele Werke im Museum Straßburg ungeklärter Herkunft sind. In den Karlsruher Listen wird noch das Rubensgemälde gesucht, das Schrenk in „Schatzkammer Salzbergwerk“ unter dem illegalen Lagergut aus Karslruhe erwähnte.
Antwort der Kunsthalle Karlsruhe
Auf eine Anfrage zu den Rubensbildern bei der Kunsthalle Karlsruhe gab es im Dezember 2018 eine erste Antwort von der Provenienzforscherin der Kunsthalle, Frau Dr. Rosebrock, die noch sehr unbefriedigend ausfällt. In den Akten finden sich letztlich keine Quittungen oder Belege zu einer konkreten Entschädigung der Erben Oppenheimer für das Rubensbild der Marchesa. Die jüdischen Erben gaben 1954 (wie im Jahr 2000 beim zweiten Versuch) die Forderung nach Rückgabe wieder auf, die Gründe dafür sind im ersten Fall 1954 letztlich unbekannt, die Museen deuten eine aueßergerichtliche Einigung zu ihren Gunsten als vermutliche Entschädigung – ohne konkrete Belege einer solchen
Ebenso unbefriedigend und widersprüchlich die Antwort zum illegalen Rubensbild der Kunsthalle im Salzbergwerk Heilbronn 1945, das dem Forscher Christhard Schrenk zufolge illegaler Herkunft war 515. Die Kunsthalle schreibt jetzt an Zeitsprünge, sie habe hier nur Kunst für einen privaten Sammler eingelagert. Weder zum Werk noch zum Sammler macht die Kunsthalle dabei genaue Angaben. Zum Titel des Rubensbildes wird nicht mehr als „die Frau“ (la femme) angedeutet, mit der sich das Rubengemälde nicht im Werkkatalog identifizieren lässt. Der Sammler stamme aus Baden-Baden, bleibt anonym. Zeitsprünge fragt weiter nach und hat neue Dokumente dazu gefunden, die noch ausgewertet werden.
Das letzte Wort sei hier einer Legende der Monuments Men überlassen, dem eindringlichen Appell von Harry Ettlinger: die Suche geht weiter.
Film der Monuments Men Foundation, der zur weiteren Forschung auffordert und zur intensiven Bildungsarbeit zum Thema.
Teil I – Fragen bleiben offen
Teil II – Spur der Rubensbilder
Teil III – die Raubkunstlisten
(Aussage von Kunsthallen-Assistentin Gerda Kircher in den Protokollen von September 1945, declassified 11652, Sec. 3 (E) and 5 (D) or (E) NNDG # 765045)
Quellen
Hauptstaatsarchiv Stuttgart
Listen zum illegalen Lagergut aus Karlsruhe: HStA Stuttgart, RG 260 OMG WB 12/89-3/13 (3 of 6; 4of 6).
Listen zum illegalen Lagergut der Kölner und Krefelder Bestände, siehe auch Wiesbadener Sendung HStA Stuttgart, RG 260 OMG US 3/438-1/11 (2 o f 2): MFA & AvCollecting Point Report for the Month of March vom 28. M ärz 1946.
Schatzkammer Salzbergwerk, Christhard Schrenk,Online-Publikationen des Stadtarchivs Heilbronn 23, 1997 Stadtarchiv Heilbronn
Fußnoten
515 Schatzkammer Salzbergwerk, Seite 93-95, Christhard Schrenk, Stadtarchiv Heilbronn 1997, Zitat
„Auch konfiszierte jüdische Kunstobjekte, welche in deutsche Sammlungen überführt worden waren, wurden entdeckt, z. B. in den Beständen des Landesmuseums Karlsruhe, der Kunsthalle Karlsruhe (Gemälde von Rubens)“
600 Harry Ettlinger speaks of his time as a Monuments Man immediately after World War II. September3, 2014 Fair Lawn NJ, part 2
In dem Interviewausschnitt werden u.a. die Rücklieferungen an den Louvre und nach Florenz erwähnt.
620 Zwischen ideologischen und baulichen Zusammenbruch: die Kunsthalle im Nationalsozialismus, von Tessa Friederike Rosebrock, aus: „Bauen und zeigen: aus Geschichte und Gegenwart der Kunsthalle Karlsruhe“, Hrsg. Regine Hess, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 2014, Seite 245
621 ebenda „Kurt Martins Listen der Einlagerungen im Salzbergwerk Heilbronn sind im Generallandesarchiv Karlsruhe erhalten, die es erlaubten, Kunst aus Frankreich mit Elsaß, Niederlande und Kunst jüdischer Vorbesitzer zu identifizieren und soweit möglich zurückzugeben.“ S. 243, Vgl Martin Lists in GLA 441-3, Nr. 722
Vgl Martin Lists in GLA 441-3, Nr. 722
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